2010-11 / Neues vom Bernstein

Im Weser Kurier vom 24. Okt.2010 fand ich folgenden Artikel, den ich mit freundlicher Genehmigung der Readaktion hier einsetzen darf.


Was Bernstein über die Erdgeschichte verrät

Funde aus Indien enthalten Überreste von Lebewesen / Folgen der Kontinentalverschiebung in neuem Licht

VON JÜRGEN WENDLER

Bremen. Als Material, aus dem sich Schmuck und Kunstgegenstände herstellen lassen, fasziniert Bernstein die Menschen seit vielen Jahrtausenden. Schon in der Steinzeit wurde Bernstein zu Anhängern verarbeitet oder mit Tiermotiven verziert.

Zu denen, die ein besonders großes Interesse an Bernsteinfunden haben, zählen die Paläontologen, das heißt Wissenschaftler, die sich mit Lebewesen vergangener Erdzeitalter befassen.

Der Grund:

Im Bernstein eingeschlossen finden sich oft Überreste von Tieren und Pflanzen. Ein Beispiel dafür liefern auch neue Funde aus Indien, die noch aus einem weiteren Grund von großer Bedeutung sind. Sie lassen Aussagen zur Verschiebung der Kontinente in einem neuen Licht erscheinen.

Nimmt man es ganz genau, handelt es sich beim Begriff Bernstein um einen irreführenden Ausdruck. Bernstein ist kein Gestein, sondern das fossile Harz urzeitlicher Bäume. Als besonders gut erforscht gilt der Baltische Bernstein, der an den Stränden der Ostsee zu finden ist. Entstanden ist er vor etwa 40 bis 54 Millionen Jahren, als im Ostseeraum subtropische Verhältnisse herrschten. Einige Baumarten sonderten ein schnell fließendes Harz ab, in dem sich Lebewesen verfangen konnten und das beim Kontakt mit der Luft sehr schnell hart wurde. Das gehärtete Harz gelangte in Gewässer und wurde dort abgelagert. Unter Luftabschluss und dem Druck weiterer Ablagerungen entstand im Laufe der Zeit der Bernstein in seiner heutigen Gestalt.

Verfolgt man die Geschichte des Namens Bernstein zurück, so stößt man im Altgriechischen auf die Bezeichnung „elektron“ für das fossile Harz. Schon den Griechen der Antike war bekannt, dass sich Bernstein, der hauptsächlich aus Kohlenstoff besteht, durch Reiben elektrostatisch aufladen lässt – mit der Folge, dass er andereMaterialienwie beispielsweise Stofffasern anzieht. Heute weiß man, worauf solche Phänomene beruhen. Atome, die Bausteine der Materie, enthalten in ihrem Kern positiv geladene Protonen und in ihrer Hülle negativ geladene Elektronen. Solche Ladungsträger, die in unterschiedlichen Stoffen unterschiedlich verteilt sein können, bilden dieVoraussetzung für Elektrizität.

Während sich Ladungen mit gleichen Vorzeichen abstoßen, ziehen sich Ladungen mit unterschiedlichen Vorzeichen an.

Der altgriechische Ausdruck für Bernstein findet sich also nicht von ungefähr in deutschen Begriffenwie elektrisch oder Elektrotechnik wieder.

Braune Brocken, die es in sich haben Bernsteinvorkommen sind in aller Welt nachgewiesen worden – in Amerika ebenso wie in Afrika, Asien oder Australien. In den „Proceedings“ der US-Akademie der Wissenschaften berichten Forscher jetzt von einem besonders großen Vorkommen in der nordwestindischen Provinz Gujarat. Die Experten aus Indien, den USA und von der Universität Bonn haben den vor 53Millionen Jahren entstandenen Bernstein untersucht und sind dabei unter anderem auf besonders gut erhaltene Überreste von Insekten gestoßen. Wie die Universität Bonn mitteilt, sind bislang mehr als 700 Gliederfüßer aus 55 verschiedenen Tierfamilien entdeckt worden. Neben Insekten zählten auch Spinnen und Milben dazu. Außerdem seien in den Bernsteinbrocken, die mit ihrer braunen Farbe an Kräuterbonbons erinnerten, Pflanzenreste gefunden worden. Ähnliche Insektenfossilien wie in Gujarat wurden auch in Europa und Mittelamerika entdeckt. „Das spricht dafür, dass es schon lange vor Entstehung des Bernsteins einen regen Artenaustausch gegeben hat“, erklärt der Paläontologe Professor Jes Rust.

Aus geologischer Sicht ist der Artenaustausch nach Darstellung des Wissenschaftlers keineswegs selbstverständlich, sondern eher eine Überraschung – gehen Experten doch davon aus, dass der indische Subkontinent lange Zeit als isoliertes Gebilde existierte. Den Hintergrund bildet das Phänomen der Kontinentalverschiebung, das heißt die Tatsache, dass sich die Lage der Landmassen ständig verändert.

Würde man das Rad der Geschichte um 250 Millionen Jahre zurückdrehen, träfe man nach Erkenntnissen von Geologen auf einen einzigen, vom riesigen Ozean umgebenen Urkontinent. Dieser zerbrach zunächst in zwei große Teile, die Kontinente Laurasia im Norden und Gondwana im Süden.

Doch auch sie hatten keinen Bestand. Wie dieUniversität Bonn erklärt,war die indische Landmasse zeitweiligmit der ostafrikanischen verbunden, löste sich dann aber ab. Erst viele Millionen Jahre nach dieser Trennung, vor etwa 50 Millionen Jahren, stieß die indische Landmasse mit Eurasien zusammen. Dabei entstand der Himalaja, ein Faltengebirge. Solche Gebirge werden wie Falten gebildet, wenn sich Erdplatten gegeneinander verschieben.

Der Bernstein ist vor dem Zusammenstoß der indischen mit der eurasischen Landmasse entstanden und zeugt deshalb von der Zeit der Isolation, die nach Darstellung der Universität Bonn etwa 100 Millionen Jahrewährte.Dass es dennoch einenArtenaustausch gab, könnte nach den Worten des Paläontologen Rust damit zusammenhängen, dass zwischen den Kontinentalplatten lange Ketten vulkanischer Inseln existierten, ähnlich wie heute in Japan oder Indonesien. Solche Inseln können die Ausbreitung von Arten erleichtern.

Tropische Wälder

Das Harz des indischen Bernsteins stammt laut Rust von Bäumen aus der Familie der Flügelfruchtgewächse, die ihren Verbreitungsschwerpunkt heute im indo-malayischen Raum haben. Daraus lasse sich schließen, dass im Bereich der indischen Landmasse schon vor mehr als 50 Millionen Jahren ausgedehnte tropische Wälder mit Flügelfruchtgewächsen existiert haben müssten.

Der Bernstein aus dem Nordwesten Indiens ist im selben Erdzeitalter entstanden wie der aus dem Ostseeraum. Es gibt allerdings auch sehr viel ältere Bernsteinvorkommen. Erst vor einem halben Jahr berichtete eine internationale Forschergruppe in den „Proceedings“ der US-Akademie der Wissenschaften von einem entsprechenden Fund aus Äthiopien. Der afrikanische Bernstein entstand vor rund 95Millionen Jahren in tropischenWäldern, wo offenkundig viel Harz von den Bäumen tropfte. Dieser Bernstein ist außergewöhnlich klar und farbintensiv. Er enthält Überreste von Insekten wie Staub- und Pflanzenläusen sowie Käfern. Außerdem fanden sich Reste von Blütenpflanzen und Farnen sowie parasitischen Pilzen, die auf den Bäumen lebten und Insekten als Nahrungsgrundlage dienten.

Quelle: Weser-Kurier / Bremer Nachrichten /Verdener Nachrichten.

Einen herzlichen Dank an die Redaktion